4Jul2012

Sachliche Zuständigkeit

Die Robert Bosch GmbH (Klägerin) mit Sitz in Deutschland hatte gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft (Beklagte) im Mai 2011 vor dem Handelsgericht des Kantons Zürich wegen Verletzung des schweizerischen Teils ihres europäischen Patentes geklagt und zwar auf Unterlassung und Schadenersatz. Nachdem die Beklagte im Dezember 2011 mit nicht einlässlicher Klageantwort die sachliche Zuständigkeit des angerufenen (Zivil-)Gerichts bestritten und die vorfrageweise Klärung der Eintretensfrage beantragt hatte, wurde das Verfahren im Januar 2012 an das Bundespatentgericht überwiesen.


Die Klägerin machte geltend, dass die Beklagte mit der Herstellung und dem Betrieb des LSVA-Erfassungssystems (leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe) das klägerische Patent („System zum Erfassen der von einem Fahrzeug in einem vorgegebenen Bereich zurückgelegten Fahrstrecke“) verletze (Art. 8 und Art. 66 PatG). Die Beklagte wiederum brachte vor, dass die Nutzung der LSVA-Erhebungsinfrastruktur hoheitlicher Natur sei und im öffentlichen Interesse erfolge, weshalb das Gericht unzuständig sei.
Dem Gericht stellte sich somit die prozessrechtliche Frage, ob es sich bei der erhobenen Klage um eine privatrechtliche Streitigkeit handle, welche von Zivilgerichten zu beurteilen wäre, oder ob von einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit auszugehen sei, weil die künftige Unterlassung einer hoheitlichen Tätigkeit den Streitgegenstand bilde und es sich bei allfälliger Bejahung der geltend gemachten Ersatzansprüche um einen öffentlich-rechtlichen Eigentumseingriff handle.
Das Bundespatentgericht stellte als Ausgangspunkt fest, dass das Patentgesetz mit der Lizenz im öffentlichen Interesse (Art. 40 i.V.m. Art. 40e PatG), welche auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen wäre, und der Enteignung des Patentes in einem öffentlich-rechtlichen Verfahren (Art. 32 PatG i.V.m. Art. 16 ff. EntG) Regelungen betreffend die Einschränkung von Rechten aus einem Patent wegen öffentlichen Interessen enthalte. Beide fänden jedoch vorliegend keine Anwendung, weil die Beklagte selber nicht aktiv geworden sei, um das fragliche öffentliche Interesse durch Einleitung des entsprechenden Verfahrens geltend zu machen, obschon sie vor Aufnahme ihrer hoheitlichen Tätigkeit (Betrieb des LSVA-Erfassungssystems) die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Die Beklagte habe eine allenfalls eingetretene Patentverletzung in Kauf genommen, welche nicht mehr rückgängig gemacht, sondern nur mittels Zusprechung von Schadenersatz ausgeglichen werden könne. Dass die Nutzung der LSVA-Erhebungsinfrastruktur durch die Beklagte hoheitlicher Natur sei, vermöge an der Sache nichts zu ändern: Es sei zwischen dem Verhältnis der Beklagten zu den LSVA-abgabepflichtigen Personen, gegenüber welchen sie hoheitlich auftrete, und demjenigen zur Klägerin zu unterscheiden. Eine allfällige Verletzung des Klagepatents sei durch die Erstellung der LSVA-Infrastruktur durch private Herstellerfirmen erfolgt. Eine solche Verletzung hätte auf dem Zivilrechtsweg verfolgt werden müssen. Der Betrieb der Anlagen durch die Beklagte setze die Verletzung allenfalls fort. Anhand des Massstabs der vom Bundesgericht entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Streitsachen hielt das Bundespatentgericht fest, dass insbesondere die Klägerin der Beklagten in diesem Fall als gleichgeordnetes Rechtssubjekt gegenübertrete und die beantragten Rechtsfolgen zivilrechtlicher Natur seien. Der Umstand, dass ein Submissionsverfahren durchgeführt worden sei, vermöge daran nichts zu ändern. Die allfällige Patentverletzung sei damit vorliegend nicht als eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit einzuordnen, nur weil die Beklagte die Anlagen von den privaten Herstellerfirmen übernommen habe und nunmehr zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben verwende. Das Bundespatentgericht trat damit auf die Klage ein.

(Entscheid in der Rechtssache O2012_021 vom 07.06.2012)

http://www.bpatger.ch/assets/PDFFiles/O2012_021.pdf